Unser 300 SL wurde im März 1992 ausgeliefert, mein Vater hat ihn mit ca 5000 Kilometern auf der Uhr im Oktober desselben Jahres von einem Herrn in München gekauft. Zum Neupreis! Die Lieferzeit lag damals bei eineinhalb Jahren, der SL war auch im dritten Jahr seiner Produktion schwer begehrt und neu kaum zu bekommen.
Die Farbkombination ist klassisch: außen Silber, innen schwarz. So begleitete er meine Eltern auf vielen Urlaubsreisen. Mein Vater starb vor zwei Jahren und wir haben den Benz in der Familie behalten, machen nun zum 30 jährigen Jubiläum eine große Fahrt in die Alpen.
Los geht’s am Freitag Morgen und der Plan ist, bis 16h am Gotthard zu sein. Dann soll die Straße nämlich aus der Wintersperre erwachen und für den Verkehr freigegeben werden. Eigentlich reiner Zufall, dass wir an diesem Datum dort sind, aber nun gut.
Tatsächlich läuft die Fahrt perfekt, wir umfahren gemütlich einen Stau und sind schon gegen 15h in Andermatt und trinken noch eine Tasse Kaffee mit Kuchen auf der Terrasse des Gasthauses St Gotthard in Hospental. Wir sind nicht die einzigen, die sich zur Saisoneröffnung hier eingefunden haben, aber richtig voll ist es auch nicht. Viele Motorradfahrer oder Sportwagen neueren Datums ballern die Passstraße hoch. Am Hospiz jedoch, wo die alte Tremola Straße beginnt, ist niemand. Und so haben wir reichlich Gelegenheit stressfrei und unbehelligt ein paar Fotos zu machen. Bei schönstem Wetter geht es dann hinunter in Richtung Italien. Ziel für das Wochenende ist Como und der FuoriConcorso „Sonderwunsch“ am Samstag und der Concorso d’Eleganza in der Villa d’Este am Sonntag. Zwei Events der Extraklasse, wie man in getrennten Artikeln nachlesen kann!
Sonntag
Nach all den vielen schönen Autos und vielen Menschen, sehnen wir uns nach ein paar Tagen Ruhe und fahren nach Norden in die Berge zum knapp 3 Stunden entfernten Kurhaus Bergün, welches am Fuße des Albula Passes liegt. Hier ist wirklich alles sehr beschaulich, nur ein paar internationale Gäste haben sich wegen des in der Nähe stattfindenden Weltwirtschaftsforums in Davos hier eingemietet.
Das Hotel ist ein Musterbeispiel des Jugendstils und stammt aus dem Jahr 1906 und war schon mit Zentralheizung und elektrischem Licht ausgestattet. Irgendwie wurde es aber zur falschen Zeit am falschen Ort mit falschem Konzept gebaut, denn der Erfolg blieb aus. Ein Brand 1949 und fehlende Finanzen waren der Anfang vom Ende. Es diente dann lange als Familienherberge, jeweils mehrere Zimmer wurden zu einer Ferienwohnung zusammengelegt. Erst 2002 gründeten langjährige Stammgäste eine Gesellschaft, kauften das Gebäude, renovierten es Stück für Stück und erhielten die einzigartigen Räume im Originalzustand. Im letzten Sommer wurde auch das KurBad eröffnet. Aus dem ehemaligen Eiskeller – aus der Zeit bevor es Kühlschränke gab- wurde eine Sauna, der Parkpavillon wurde nach historischem Vorbild aus Mondholz rekonstruiert und dient nun als Ruheraum, die Badelandschaft wird aus der eigenen Bergquelle gespeist und mit Photovoltaik geheizt.
Auf nach Südtirol
Am nächsten Tag fahren wir weiter in Richtung Südtirol. Wir nehmen nicht den direkten Weg, sondern die Route über die Pässe. Albula hoch und dann nach Zuoz, weiter über den Ofenpass, dann rechts ab zum Umbrailpass, über die Grenze nach Bella Italia und dann hoch zum Stilfser Joch. Das Wetter ist ziemlich gut, etwas windig, aber ein schöner Blick und ziemlich wenig Verkehr. Die Saison geht gerade erst los. Dann fahren wir die 48 Kehren bergab, machen eine Mittagsrast -wie schon einige male zuvor- im Berghotel Franzenshöhe. Da gibt’s immer was. Gestärkt mit lecker Gulaschsuppe geht’s weiter vorbei an Meran und Bozen hinauf auf 1560 Meter nach Oberradein zum Zirmerhof, wo wir die nächsten drei Tage bleiben werden.
„Häuser der Wiese“
Das Haus ist ein Bauernsitz aus dem 12. Jahrhundert und seit über 100 Jahre werden hier schon Gäste empfangen. Dichter, Künstler und Nobelpreisträger waren unter ihnen und auch Michele de Lucchi. Zu ihm entwickelten die Perwangers eine Freundschaft und aus dieser entstand ein Projekt: Die „Häuser der Wiese“. Auf dem ehemaligen Parkplatz entstanden zwei Gebäude mit 6 Suiten. Das besondere ist, dass sie komplett aus Holz der Bäume gebaut wurden, welche beim Sturm Vaia 2018 entwurzelt wurden. 12 Millionen Bäume knickten damals um wie Streichhölzer, zerstörten ganze Bergrücken und die Wunden in der Landschaft werden noch für Jahrzehnte sichtbar bleiben.
Die Häuser stehen vor dem historischen Hof am Hang und von der Terrasse aus hat man einen wunderbaren Blick ins Tal. Die Dächer sind mit Holzschindeln bedeckt und erinnern so an einen alten Heuschober. Im Inneren geht es großzügig zu, Holz wohin man blickt und die Möbel wurden zum Großteil speziell für diese Häuser entworfen.
Der Spa-Bereich mit Sauna, Dampfbad und ökologisch mit eigenem Holz beheizten Pool ist wie eine Hobbit-Höhle in die Landschaft integriert, das Dach mit Gras bewachsen. Von den zahlreichen Nischen, der Holzterrasse oder den Liegen auf der Wiese kann der Blick auf die über 100 umliegenden Berge und das Etschtal schweifen. Man kann völlig abschalten, rumdösen, nachdenken, auch weil sich die wenigen Gäste im Haus verteilen und man so fast immer seine Ruhe hat.
Das Abendessen wird im Speisesaal serviert, der mit einem riesigen Bilderzyklus von Ignaz Stolz bestückt ist, welcher die Sage vom Riese Grimm erzählen. Der Bösewicht hauste oberhalb von Radein am Weißhorn, entführte eine Jungfrau aus dem Eggental und das alles endet ziemlich blutig und schlecht für beide und mit rotgefärbten Felsformationen, die noch heute sichtbar sein sollen. Wir lassen es uns trotzdem schmecken und der Gewürztraminer aus dem eigenen Weingut Pinus passt hervorragend dazu.
Nach dem Abendessen gehen wir in Richtung Bibliothek und hören Klaviermusik. Ein Gast spielt für seine Frau und sich. Einfach so. Wir setzten uns mit einem Restwein im Glas in einiger Entfernung dazu und lauschen den Liedern. Es ist einer diesen magischer Moment, den man gerne festhalten möchte. Nichts lenkt ab, er ist einfach da und wird so nie wieder kommen. Das Instrument wurde 1941 spontan von Hanna Perwanger bei einem Einkauf im Tal angeschafft, um in den Kriegszeiten etwas für Abwechslung zu sorgen und damals mühsam mit einem Ochsen- und Pferdedoppelgespann auf das Hochplateau hinaufgehievt. Seit dem steht es dort und dient nun immer noch den Gästen zum Spielen.
Architektur, Design und Wein
Der Mittwoch sieht etwas verregnet aus und so beschließen wir, ins Tal zu fahren und zu schauen, wo all die leckeren Weine herkommen. Einige Kellereien haben in den letzten Jahren in Baukunst investiert und bieten so nicht nur dem Gaumen Freude. Der Ursprung dieser Entwicklung liegt wohl darin, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Wie in vielen anderen Anbaugebieten in Europa hat die in den 70er Jahren einsetzende Massenproduktion den schlechten Ruf geprägt. Überbleibsel davon kann man noch heute in Form von Einliterflaschen für 1,99 Euro in den unteren Regalen der Supermärkte finden. Dem wird inzwischen vermehrt mit Ehrgeiz und Qualität entgegen gewirkt oder auch mit Millioneninvestitionen in Glas, Holz und Beton. Es scheint sich auszuzahlen.
Erste Station ist die Kellerei Kurtatsch, deren Kapital die teilweise sehr steilen, nach Osten gerichteten Weinberge mit Höhenlagen bis zu 900 Metern sind. Zum 120 jährigen Jubiläum 2020 beschenkte dich die Kellereigenossen mit einem großen Umbau, den sie nun- pandemiebedingt- mit etwas Verspätung im Mai diesen Jahres einweihen konnte. Aus einem Architektenwettbewerb gingen das Büro Dell’Angolo Kelderer aus Bozen hervor, die die kellertechnischen Anforderungen mit einer unverwechselbaren Idendität am besten in Einklang brachten. Die schroffen Millawände aus grauem Dolomitstein über dem Ort dienten als Inspiration für die neue Fassade aus gefalteten Betonplatten, durch die man als Besucher geht und ins Innere galangt. Hier überwiegt Holz an Decke und Boden, die Flaschen stehen auf einer riesigen Theke zur Ansicht. An der Bar kann man die Bestellungen aufgeben und sich von einem der Sessel auf der Veranda der grandiosen Aussicht auf das tiefer gelegene Tal hingeben.
Nur ein Stück weiter an der Weinstraße gelegen, kommen wir zur Cantina Dramen im Ort mit gleichem Namen, die ich bei der Alpenfahrt 3.0 im Jahr 2019 schonmal besucht hatte. Der Architekt Werner Scholl schuf mit dem modernen Kellerbau im Jahr 2010 so das neue Wahrzeichen im Ort. Ein von einem grünen Stahlgerüst ummantelter Glaskubus beherbergt die Vinothek und den Versammlungsraum. Seine Form ist den Trieben der Rebstöcke nachempfunden. Auf eine Verkostung verzichten wir hier aber, wir müssen ja noch fahren.
Gegen Mittag bekommen wir Hunger. In Kaltern machen wir einen Stopp und eine ausgiebige Pizza-Pause. Das Wetter entwickelt sich ganz gut, was uns zur Weiterreise motiviert. Einige Stationen haben wir noch auf der Liste.
Gleich ums Eck liegt das Weingut Manincor. Auch hier wurde in den letzten Jahren an einer Erweiterung gebaut. Um das Ensemble aus altem Ansitz von 1609 und Lanschaftsschutzgebiet nicht zu stören, entschieden sich die gräflichen Eigentümer zusammen mit den Architekten Walter Angonese und Rainer Köberl den gesamten Neubau unter die Weinberge zu legen. So entstanden auf 3000m2 drei Geschosse für die unterschiedlichsten Zwecke der Lagerung und Produktion. Einen modernen Akzent und einzigen öffentlichen Bereich setzt der Degustierpavillon am Eingang neben dem Parkplatz in Holzbauweise mit einem wasserbedecktem Betondach.
Letzte Station auf unserem Architektur-Wein Ausflug ist Nals bei Meran. Der Umbau und die Erweiterung der Kellerei Nals Margreid wurde 2011 fertig gestellt und sollte sich unter Verwendung von regionaltypischen Materialien wie Eichenolz und mit Porphyr rötlich durchgefärbtem Beton ins Ortsumfeld einfügen. Unübersehbar ist der oberirdische Barrique-Keller, der wie eine überdimensional große Weinkiste gestaltet wurde. Der mittig gelegene „Weinhof“ ist von einem riesigen Betondach überspannt und dient gleichzeitig als Arbeitsfläche und Eingangsbereich für die Besucher. In der Vinothek 1764 kann man zahlreiche Weine probieren, die auf den 173 Hektar der Genossenschaft produziert werden.
AEON
Am nächsten Vormittag brechen wir auf zur nächsten Station unserer Reise. Weit ist die Fahrt nicht, das erst im letzten Jahr fertig gestellte AEON liegt oberhalb von Bozen. Von Oberbozen aus geht es noch ein paar Kilometer durch den Wald, bis man irgendwann an ein großes Tor kommt, welches sich wie von Geisterhand öffnet und eine lange Einfahrt freigibt, die zum Gebäude führt, welches wie ein Raumschiff in der Landschaft steht.
Das Hotel ist das neueste Projekt der Familie Ramoser vom angrenzenden Lobis-Hof. Umgesetzt von den noa* Architekten aus Bozen besteht es aus zwei Gebäuden mit rautenförmig verschachtelter Holzfassade, die völlig frei auf einer riesigen Wiese stehen. Verbunden durch einen begrünten Tunnel, der sie verbindet. Zum einen gibt es den öffentlichen Teil mit Empfang, Restaurant, Bar und der Wellnesszone im oberen Geschoss, zum anderen einen private Teil mit den 15 Gästesuiten. Diese sind –wie alle Innenräume- in blau und beige gehalten. Eine scharf geschnittene Trennlinie verläuft durch den Raum und teilt so sogar den Tisch und das Bett konsequent im Verhältnis 2/3 zu 1/3.
Wir fühlen uns von Anfang an wohl. Die Gäste, die über den Feiertag kommen stecken noch im Stau am Brenner und so ist es vollkommen ruhig. Am Nachmittag wollen wir eine kleine Wandertour machen, gehen vorher aber noch eine Runde im Pool schwimmen und genießen die Aussicht auf die Berge, die Wiesen, die Kühe. Es ist die Entspannung pur!
Das Hotel ist nur für Erwachsene und eigentlich ein Bed&Breakfast, was viele Gäste zunächst verwirrt. Zweimal in der Woche (Donnerstag und Samstag), kann man im Bistro oder auf der Terrasse zu Abend essen und aus eine kleinen feinen Karte auswählen. An den anderen Tagen geben die Mitarbeiter gerne Tipps für die Umgebung und übernehmen die Reservierung. So soll man auch mal raus kommen und sich überraschen lassen vom Angebot in der Region.
Nach zwei Tagen geht die Reise weiter. Wir müssen uns wirklich losreisen, wären sehr gerne noch geblieben an diesem wunderbaren Ort. Aber wir kommen wieder. Ganz bestimmt. Auch, um zu sehen, wie er sich weiterentwickelt. Wir wie hören, wird schon über eine Erweiterung nachgedacht…
Fotos und Text: Markus Haub & Susana de Val