Für mich ging damals ein Traum in Erfüllung, als ich 1993 die Aufnahmeprüfung für das Transportation Design Studium an der (ehemals) FH für Gestaltung in Pforzheim bestanden hatte und anfangen konnte zu studieren. Auch fand ich endlich Gleichgesinnte, die genauso verrückt waren wie ich und sich die Nächte in der Werkstatt um die Ohren hauten, um zu zeichnen oder an ihrem Clay-Modell zu formen.
Es war eine wunderbare Zeit, damals, Mitte der 90er Jahre. Alles war noch analog. Die Skizzen, die Renderings und auch die Modelle wurden von Hand gemacht. Digitales Modellieren mit Alias kamen gegen 1994, als BMW uns zwei Stationen zur Verfügung gestellt hat. Das Angebot wurde jedoch nur sehr zögerlich angenommen. Erst gegen Ende der Dekade kamen einige Studenten im Praktikum mit Photoshop in Berührung und peppten Ihre Präsentationen mit großen Prints auf.
Wintersemester 1996/97
Im Wintersemester 1996/97 stand meine Diplomarbeit an. In den Jahren zuvor hatte ich Kontakt zu Audi geknüpft, war mal in deren Münchner Studio zum Praktikum und durfte im Folgejahr wieder kommen. Dann jedoch nach Spanien, in das neu gebaute Design Center Europe (Volkswagen) in Sitges, südlich von Barcelona.
Das gesamte Münchener Team war dorthin gegangen und bildete die Stammmannschaft, die in der Folgezeit durch einige talentierte Leute erweitert werden sollte. Dorthin zog es mich auch wieder im Sommer 1996, um meine Diplomarbeit vorzubereiten. Drei Monate habe ich dort verbracht und die Zeichnungen für das Projekt erstellt. Das Modell wollte ich im Anschluss in Pforzheim bauen. Nach dem Abschluss wurde mir dort auch ein Job angeboten, den ich gerne annahm. Ich arbeitete dort bis zum Sommer 2000…
Das Konzept für mein Projekt war damals schnell gefunden und Barcelona diente mit seiner Architektur und Lifestyle als Inspiration.
Mein Ziel war es, ein Seat Coupé mit Freizeitcharakter für den spanischen Markt zu schaffen. Ein Projekt, welches ein Pick-up mit einem Coupe verbindet und dabei die klimatischen Bedingungen berücksichtigt.
Wo einst Picasso, Miro und die restlicher künstlerische Avantgarde wirkten, streifte nun auch ich umher, genoss die Stadt in vollen Zügen und suchte Inspiration. Diese fand ich besonders in der Architektur Antonio Gaudis mit seinem Jugendstilgebäuden und Formen, die an Drachen oder andere Fabelwesen erinnern.
Barcelona
Die 90er waren in Barcelona eine spannende Zeit. Zu den Olympischen Spielen 1992 hat sich die Stadt so krass erneuert und herausgeputzt, aus einem trostlosen Industriekoloss wurde eine strahlende Metropole. Die Entwicklung begann schon nach Francos Tod, Junge Designer und Architekten wurden gefördert und ganze Stadtviertel erneuert. Unter die Erde verbannte Autobahnringe und neue Sportstädten wurden geschaffen und die Stadt modernisiert. Auch schwamm Barcelona ab Ender der 80er Jahre auf einer riesigen Design-Welle, besonders im Interior Bereich. Es gab die wildesten Bars und Restaurant mit extravaganter Beleuchtung, Materialien und vor allem die Toiletten waren immer ein Highlight!
Legendär war das Velvet, Nick Havana, Up & Down, Universal, Rosebud oder das Otto Zutz. Auch das Gambrinus, welches vom Olympia-Maskottchen Gestalter Javier Mariscal entworfen wurde. Tanzclubs wie das Apolo oder La Paloma verbanden Tradition mit Moderne. Wenn die Tanzkapelle um Mitternacht ging, legte der DJ auf und das Publikum verjüngte sich allmählich. Aber zurück zum Entwurf:
Der Entwurf:
Ganz am Anfang meiner Skizzenphase überwog noch ein offenes Fahrzeug. Im Laufe der Recherche wandelte sich diese Konfiguration hin zu einer Anordnung mit geschlossenem Lamellendach-Mechanismus. Dieser ergab sich aus den klimatischen Bedingungen in Spanien und hat sich aus dem Studium der Architektur in Barcelona herauskristallisiert. So findet man eine ganze Reihe von schattenspendenden Überdachungen an öffentlichen Plätzen, einige zudem noch recht dekorativ- wie der „Pergola Peix“ von Frank Gehry. So entstand die Idee eines Daches, welches als Sonnenschutz oder Baldachin gedacht ist. Als Verlängerung der A-Säule überspannen zwei Aluminiumbügel die Fahrgastzelle. In diesen sind sechs Kunststofflamellen drehbar angeordnet. Der Bügel wird im hinteren Bereich über einen Seilzug unter Spannung gehalten und hebt das gesamte Dach bei Lockerung des Seils und sorgt so für eine verstärkte Luftzirkulation. Die Lamellen können in verschiedene Positionen gestellt werden oder auch ganz nach hinten geschoben werden. Auch kann das Dach komplett abgenommen werden.
Auf der bis unter das Dach reichenden Ladefläche kann man allerlei Freizeitkrempel verstauen oder zwei Personen notdürftig unterbringen. Abgedeckt wird der Laderaum von einer aufblasbaren Plastikplane, die auch als Luftmatratze dient.
Die Seitenscheiben stehen fast senkrecht, um der Sonne wenig Angriffsfläche zu bieten und das Aufheizen des Innenraums so zu minimieren.
Der Innenraum ist spartanisch gehalten. Sitze im Liegestuhldesign und nur die nötigsten Instrumente. Das Material- und Farbkonzept -vor allem das der Luftmatratze, welche am Modell sichtbare ist- hatte sich damals mit Silke Weltkopp von der FH in Hannover entwickelt.
Damals beschrieb ich den Entwurf so: “Ein Auto für den täglichen Gebrauch oder Ausflüge am Wochenende. Der Entwurf steht ganz in Verwandschaft mit dem Citroen 2CV. Seine Persönlichkeit erwächst aus den Attributen, die ihm fehlen: Leistung, Schnelligkeit, Status, Luxus, Aggressivität. Währen der Franzose jedoch in einer Zeit der Not geboren wurde, bedient sich der Tragaluz eher modischen Einflüssen, die sich in Material und Farbe widerspiegeln. Diese machen ihn gerade nicht zeitlos und lassen ihn als Spiegelbild seiner Zeit erscheinen. Das Utility Design wird zeitgemäß interpretiert. Kratzer oder matter Lack können den Charakter des Coupés nicht verändern. Sie unterstreichen ihn noch! Die Gebrauchsstabilität machen das Objekt sehr persönlich, so wie eine Ente oder ein Méhari in verschlissenem Zustand erst richtig authentisch wirken.”
Noch einige andere Modelle hatte ich damals zum Vergleich herangezogen. Sei es wegen des Konzepts oder der Ästhetik. Ford Ghia Saetta (1996), der Fioravanti Nyce (1996), Renault Fifty (1996), Hyundai HCDIII (1995), Pininfarina Ethos (1992), Citroen Berlingo Coupe de Plage (1996) oder der Irmscher Pick-up auf Opel Tigra Basis von 1996.
Vergleichsmodelle
Der Modellbau
Ab Oktober ging ich dann zurück nach Pforzheim und baute mein Modell, um es im Februar zu präsentieren. Der Entwurf wurde vom Tape in das Clay-Modell übertragen. Dann mühselig die Symmetrie erstellt. Ich erinnere mich noch, wie ich eines Vormittags in die Schule kam und der Werkstattleiter Herr Häuser mir sagte: „ Markus, Ihr Modell isch ja garned symmedrisch!!!“ Er hatte oft früh am Morgen nichts zu tun und hatte es einfach mal vermessen. Es war an einigen Stellen ca 15mm aus der Form geraten….egal.
Zu unserer Zeit wurden meist die Clay-Modelle direkt lackiert. Um eine bessere Qualität zu erreichen, vor allem es aber haltbarere und leichter für den Transport zu machen, konnte man eine Form aus glasfaserverstärktem Kunststoff erstellen. Das war aufwendig, lohnte sich aber, denn auch die Oberflächen lassen sich besser glätten und Details leichter einarbeiten. Gesagt getan wurde erst eine Negativ-Gipsform erstellet, in welche dann die Glasfasermatten eingelegt wurden. Alles eine ziemliche Sauerei, aber ein Mordsspaß.
Die Präsentation
Im Januar 1997 war Abgabe und Kolloquium. Das ist immer ein großer Bahnhof, denn neben den Professoren und Dozenten, kommen auch immer jede Menge Studenten, um sich die Präsentationen anzuhören. Meine Betreuer waren Mike Ani vom Design Center Europe und Prof. James Kelly von der FH.
Die eigentliche Präsentation war dann im Februar und wir hatten zusätzlich noch eine kleine Party in einem Kellerraum veranstaltet. Mit Band, Würstel, Spätzle und Linsen und allerlei Prominenz. Die erste Designers Night Pforzheim (DNP)sozusagen…
Zum Abschluss hatten mein Semesterkollege Thomas und ich noch Fotos von unseren Modellen auf dem Parkplatz vor dem Gebäude des Kfz-Designs gemacht. Der Seat “Tragaluz” zusammen mit dem Fiat “Poncho”. In den Wochen danach sind dann noch allerlei Artikel dazu in deutschen, japanischen oder italienischen Zeitschriften erschienen, was uns sehr gefreut hat. 🙂
Heute steht das Modell bei mir im Wohnzimmer.